„Nationen sollte man nicht auf die Couch legen. Im Falle von Deutschland und Polen ist das aber unerlässlich.“
von Radek Knapp
Hand aufs Herz: Was wissen Deutsche über Polen und umgekehrt? Offenbar jeweils nur das Nötigste. Das wäre zum Beispiel die in Polen vorherrschende Meinung Deutsche seien fleißig, zuverlässig, aber leider auch humorlos. Unbestritten hingegen ist, dass die germanischen Nachbarn die besten Autos der Welt bauen, welche wiederum auf geheimnisvolle Weise von einigen fantasiebegabten und humorvollen Polen entwendet werden. Kurzum: Der eine kennt über den anderen nur Klischees, was aber irgendwie verständlich ist. Klischees haben zwar einen schlechten Ruf, aber dafür merkt man sie sich leicht, und mit manchen kann man sogar am Stammtisch glänzen.
Gelegentlich schadet es nicht, Klischees zum kontrollierten Abschuss freizugeben, um ihre Zahl wieder auf den Normalstand zu senken. Im Fall der deutsch-polnischen Einheit ist das einfach. Man sucht sich ein paar kuriose Gemeinsamkeiten heraus, und schon staunen alle, wie ähnlich und charmant beide Nationen sein können, wenn sie es nur wollen.
Den Anfang macht die so komplizierte polnische Sprache. Sie ist für den Germanen praktisch unlernbar und klingt eigentlich schon nicht mehr wie vom Planeten Erde. Schuld daran sind der sparsame Umgang mit Vokalen und die typische slawische Sorglosigkeit, alles, sogar die eigene Sprache, sich selbst zu überlassen. Aber gerade deswegen saugt das Polnische problemlos Fremdmaterial auf, welches in diesem Fall – siehe und staune – am häufigsten aus dem Deutschen einfließt. Immer wieder stolpern im Sommer deutsche Touristen durch die Straßen polnischer Städte und wundern sich, wie gut sie Polnisch können. Sie brauchen nicht einmal ein Wörterbuch auszupacken, wenn sie sich eine „Flaschka“ oder einen „Schlafrock“ zulegen wollen und auf die Frage, ob sie mit Euro oder Dollar zahlen sollen, aus einem polnischen Mund ein „ganz egal“ zu hören bekommen.
Schwieriger wird es für den deutschen Bürger bei deutschen Vokabeln, die schon so lange im Slawenland herumgeistern, dass sie bis zur Unkenntlichkeit verpolnischt wurden. Es gab da z.B. den deutschen Erfinder Vincenz Prießnitz, der im 19. Jahrhundert einen Waschapparat erfand „aus dem Wasser durch ein Sieb auf den Badenden fiel“. Ihm zu Ehren nennen die Polen diesen Apparat bis heute „prysznic“. Warum aber die Deutschen noch nicht nachgezogen haben und ihn weiterhin Dusche nennen, sollte wirklich mal genauer untersucht werden. Untersuchen müssen wir hingegen nicht, wie vielen polnischen Jungfern einst der deutsche Charmeur Heinrich Heine beim Baden geholfen hat. Egal ob es unter einem prysznic oder einer Dusche war, es müssen reichlich gewesen sein, denn von da an nannte er sie nur noch „Weichselaphroditen“.
Die polnische Sprache hat die beiden Völker auch auf Gebieten zusammengeschweißt, wo sie eigentlich nichts mehr verloren hatte. Als vor Jahren der deutsche Papst, der bekanntlich einem polnischen nachfolgte, Warschau besuchte, muss er im Flugzeug noch ausgiebig an einer polnischen Begrüßung gefeilt haben. Denn sobald er auf dem Warschauer Flughafen vor die Kameras trat, hauchte er in sanftem Polnisch „Pozdrawiam was ciule“. Was eigentlich „Ich grüße euch herzlich“ heißen sollte. Doch leider hatte der schmale Mund des deutschen Pontifex aus „czule“ ein „ciule“ gemacht. Wodurch der Satz ein klein wenig an der ursprünglichen Bedeutung verlor und sich auf magische Weise in ein „Ich grüße euch, ihr Schwachköpfe“ verwandelte. Millionen polnischer Katholiken erstarrten vor den Fernsehbildschirmen, und schon am nächsten Tag empfahl das Boulevardblatt „Fakt“ (das übrigens dem Springer-Verlag gehört) dem Papst, sich künftig auf Deutsch oder Lateinisch an die polnischen Gläubigen zu wenden.
Glücklicherweise waren die Polen niemals nachtragend, und schon zwei Tage später gewann Benedikt XVI. ihre Herzen zurück. Nicht so sehr, weil er in jeder Stadt die frohe Botschaft verkündete, sondern weil er hin und wieder eine Anekdote über seinen polnischen Vorgänger in die Predigt einbaute. Für alle Fälle war aber immer ein Übersetzer dabei. Zum Thema Religion hat neulich auch das erzkatholische „Radio Maria“ ein kleines Steinchen zum deutsch-polnischen Austausch beigetragen. Als eine deutsche Militärmaschine den Flughafen Tempelhof anflog, hörte der deutsche Pilot statt der üblichen Landekoordinaten ein intensiv auf Polnisch gemurmeltes „Vater Unser“ direkt aus dem „Radio Maria“-Studio. Dass er trotzdem sicher gelandet ist, war wohl weniger göttlicher Intervention zu verdanken als seinen Flugkünsten.
Interessanterweise hat „Radio Maria“ seinen Sitz in Thorn, der Geburtsstadt des polnisch-deutschen Astronomen Nikolaus Kopernikus, was mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl ist. Vor fast 500 Jahren hat Kopernikus die Erde samt ihren Nationen aus dem Mittelpunkt des Universums entfernt und ihr eine weitaus bescheidenere Rolle zugewiesen. Geholfen hat es herzlich wenig. Neulich sind wieder die Steinbachs und Kaczynskis durch die Hintertür zurückgekommen. Viele fragen sich bereits, wie lange sie noch den Polen und Deutschen ihre Kurzsichtigkeit und andere Ähnlichkeiten vorführen werden. Schön wäre es, wenn sich das Scheinwerferlicht stattdessen auf Individuen richten könnte, die – ohne die Bedeutung des Vergangenen herunterzuspielen – die Versöhnung im Hier und Jetzt suchen. Es gibt davon inzwischen recht viele. Einer von ihnen wäre zum Beispiel jener Berliner Taxifahrer, der einmal zu mir sagte: „Du kannst nicht mit einer Nation auf ein Bier gehen, sondern nur mit einem Kumpel.“
Ein Paradoxon? Vielleicht.
Und hier ist noch eins:
„Fahren Sie nach Polen, Ihre Seele ist schon dort.“
dieser Artikel stammt aus dem 3sat-Magazin vom 22.03.2010 – „TV Höhepunkte April bis Juni 2010“ und gehört zum Thementag „Nowa Polska“, in dessen Rahmen am 25.April um 20:15 Uhr auch der Film „Polen für Anfänger“ erstausgestrahlt wird.
Der Verfasser Radek Knapp wurde 1964 in Warschau geboren, lebt aber seit 1976 in Wien. Er erhielt unter anderem den „aspekte“-Literaturpreis. Weitere Annäherungen an sein Geburtsland sind in seinem Buch „Gebrauchsanweisung für Polen“ nachzulesen.
Weitere Infos und einen Sendeplan zum Thementag „Nowa Polska“ findet ihr hier.